»Heut will ich euch die Geschichte vom Feuermännchen erzählen«, sagte eines Abends unsere gute alte Tante Minna; »sie ist zwar ein bissel gruselig, aber ich will sie euch doch erzählen.

Ihr müßt wissen, zu Hause in Pankenbrück hatten wir einen großen Kachelofen, so einen recht altmodischen grünen Kachelofen. Und blanke Haken hatte er, um nasse Kleider dran aufzuhängen, und eine Warmröhre mit einer Messingtüre hatte er auch.

Darin gab es im Winter Bratäpfel oder ein Töpfchen mit Kaffee für den Fritz und die Grete, wenn sie müde und hungrig vom Schlittschuhlaufen kamen.

Ich sage euch Kinder, es war ein Prachtstück von einem alten Kachelofen!

Und was das Herrlichste war, es wohnte ein Feuermännchen drin, ein wirkliches gelbes Teufelchen. Wenn man unten die Tür aufmachte und die rote Glut einem entgegenschlug, konnte man ihn deutlich hüpfen und springen sehn, hopp, hopp, immer durch die Flammen durch, hinüber und herüber. Manchmal machte er auch einen ganz lächerlichen Spektakel. Er amüsierte sich, die Holzstücke, die nicht gleich brennen wollten, knack, mitten durchzubrechen, spuckte auch wohl in die Flammen, daß sie sprühten und zischten, und kicherte vernehmlich hinterher. Kurz und gut, er war eben ein rechtes Teufelchen, wie alle andern Feuermännchen auch sind.

Doch nun kommt meine Geschichte.

Einmal nämlich mußte ich eine Mausefalle aufstellen. Im Eckschrank in der Wohnstube hatte das Brot ein ganz verdächtiges Loch gehabt. Ich briet ein Stück Speck hübsch knusprig und legte es in die Falle. Am andern Morgen war der Speck weg, die Falle aber zu und von einem Mäuschen nix zu sehn. Grete und ich schüttelten verwundert die Köpfe; bloß der Fritz, der sich über nichts wunderte, lachte unbändig, so daß wir schon glaubten, er habe das Mäuschen wieder laufen lassen. Er sagte aber nein, und da er ein wahrhaftiger Junge war, mußten wir ihm schon glauben. Ich machte ein neues Stückchen Speck zurecht und richtete die Falle zum zweiten Male. Aber es ging wie vorher: Speck weg, Maus weg, Falle zu! Das ging nicht mit rechten Dingen zu!

Ich machte mir nun mein Bett auf dem Sofa in der Wohnstube zurecht und wollte aufpassen. In der Falle roch wieder ein saftiges Speckstückchen. Ich legte mich hin und blinzelte von Zeit zu Zeit hinüber, aber es blieb alles still.

Wenn der Vollmond nicht so hell ins Zimmer geschienen hätte, wäre mir die Zeit gewiß recht lang geworden.

Endlich hörte ich Trippelschrittchen, und – Kinder, da hatten wir die Bescherung! Da kam mein Mäuschen, aber nicht allein, es hatte einen artigen Kavalier bei sich, nämlich unser leibhaftiges Feuermännchen. Der ging an die Falle, hielt zierlich und geschickt das Fallbrettchen hoch, Mäuschen holte den Speck, und als sie außer Gefahr war, ließ das Kerlchen vorsichtig den Deckel wieder fallen. Ich sah belustigt zu, mit welchem Appetit sie dann den Speck verzehrten, und spitzte die Ohren, was sie wohl sonst noch machen würden.

Ich brauchte nicht lange zu warten, bis sie ihre drolligen Spiele anfingen.

Mitten auf der Diele war ein großer weißer Fleck, den hatte der Vollmond dorthin gemalt. Da begannen sie ihre Kunststückchen. Wie die geschicktesten Turner und Seiltänzer sag' ich euch!

Einmal war Feuermännchen der Reiter und Maus das Pferdchen. Hui, ging's immer rundum, ohne Sattel und Zaum. Nein, das hättet ihr wirklich sehn müssen! Von Mäuschens kleinen Ohren bis zu Mäuschens Schwanzspitze lief das behende Männchen hin und her, vorwärts und rückwärts, daß sein gelbes Röckchen sich um ihn bauschte und die roten Schuhe klapperten. Dabei schoß er noch Köpfchen und schlug Räder; ich sage euch, mir wurde ganz wirblig dabei.

Oder Maus lief ihrem Kameraden blitzschnell durch die Beine, rechtsum, linksum, sprang ihm unversehens über den Kopf weg, wieder durch die Beine und lief ihm endlich davon. Dann begann ein tolles Haschen über Stuhl und Tisch, oben und unten; von der Gardinenstange aufs Fensterbrett, von dort auf die Sofalehne oder quer über die Kommode, bis sie sich endlich hatten und müde waren. Dann setzten sie sich artig auf eine Fußbank und streichelten und küßten sich wie richtige Liebesleute.

Bald aber tollten sie wieder wie vorher. Das dauerte so eine gute Stunde; da ging der Mond weg, und Maus und Feuermännchen verschwanden im Ofen, unten, wo schon lange eine Kachel fehlte. Na, nun wußte ich Bescheid und nahm mir vor, da nun einmal das Mäuschen unserm Feuermännchen sein Schatz war, ihr nix Böses zu tun. Im Gegenteil, Grete mußte jeden Tag ein Puppenschälchen voll Milch vor das Ofenloch stellen; und ich tat ab und zu auch noch einen andern guten Bissen hinein; wußte ich doch, daß auch Feuermännchen kein Kostverächter sei.

Bald war das Mäuschen so zahm, daß es sich auch am Tage hervorwagte, ja, es stellte sich zu den Mahlzeiten ein und trug manch Häppchen zu ihrem Schatz ins Ofenloch. Wir nannten sie Frau Grisegrau und hatten sie alle lieb.

Wenn Vollmond war, ließ es mir keine Ruhe; eine Nacht wenigstens mußte ich ihrem übermütigen Treiben zusehn. Auch dem Fritz und der Grete machte ich mal im Wohnzimmer ihr Bett auf; aber die dummen Jöhren schliefen immer ein und wußten am andern Morgen nix vom Feuermännchen und nix von Frau Grisegrau.

So lebten wir ein paar schöne Jahre zusammen; und wenn die Bratäpfel in unserm alten Ofen schmorten und draußen der Sturm ging, erzählte ich den Kindern neue Kunststücke von Feuermännchen und Grisegrau, und sie guckten vergnügt ins Ofenloch und sahen das Teufelchen lustig flackern und springen.

Doch nun kommt's traurig, Kinder, denn alles Schöne hat im Leben mal ein Ende.

Eines Tages lag unser Mäuschen tot vor ihrem Loche. Ein fremder Kater hatte sich hereingeschlichen und es erwischt. Ich verjagte ihn, aber ich kam zu spät.

Ich blieb im Wohnzimmer, und als der Mond kam, sah ich unser Feuermännchen klagend um die Leiche gehn. Zuletzt nahm er sie auf den Rücken und ging langsam den gewohnten Weg durch die Kachel.

Im Ofen war noch Glut, ich bückte mich, um hineinzusehn, da war er schon mit seiner lieben Grisegrau mitten drin. Hellauf loderten die Flammen, die die kleine Maus begraben sollten; ganz stille hockte das Feuermännchen daneben und sah zu.

Mir war ganz traurig zumute, als ob mir was liebes gestorben wäre . . .

Bei uns im Hause wurde es auch still, seitdem Feuermännchen und Grisegrau nicht mehr zusammen spielten. Der Fritz kam zu den Soldaten und die Grete wurde Erzieherin weit weg in Ungarn.

Für mich allein mochte ich keine Bratäpfel mehr in den alten Kachelofen legen, und auch das Feuermännchen habe ich seit jener Nacht nicht wieder gesehn.

Paula Dehmel, 1862 - 1919