Es war einmal ein armer Student, der war recht einsam und allein und hatte keinen Menschen auf der weiten Welt, der sich um ihn gekümmert hätte. Und er hätte doch so gerne jemanden gehabt, den er so recht innig hätte lieben können.

Manchmal saß er wohl in den schönen Sommernächten, wenn der Mond schien, am offenen Fenster seiner kleinen Dachstube und schaute hinaus über die Dächer der großen Stadt, wie sie im Mondenlichte dalagen, und dann dachte er: ob wohl unter diesen Dächern ein Herz noch einmal für ihn schlagen möge, ob er in dieser großen weiten Stadt noch einmal jemand finden werde, der ihn so recht lieb habe, und den er so recht lieb haben könne vom Grunde seines Herzens. Und der Mond schien ihm voll ins Antlitz, und die Sterne blitzten hell hernieder. Ferne standen dunkel und schweigsam die hohen Kirchentürme, und das Rollen und Brausen der großen Stadt drang zu ihm herauf, der großen Stadt, darin er so ganz allein war.

Er war sehr fleißig und arbeitete wohl den ganzen Tag. Wenn dann der Abend kam, eilte er durch das Drängen und Treiben der Stadt ins Freie und freute sich an den lustigen Spielen der Kinder und über die fröhlichen Spaziergänger oder suchte sich eine einsame Stelle, um ungestört seinen Gedanken nachzuhängen.

Eines Tages im Sommer, als er so in der Dämmerung durch die Straßen ging, begegnete ihm ein Mann mit einem Hundekarren. Das war ein recht sonderbarer Mann. Er war nicht groß und etwas buckelig und trug einen langen, grauen Rock mit großen Taschen darin. Ein großer schwarzer Hut mit breiter Krampe verdeckte sein kleines graubärtiges Gesicht, so daß, wenn er mit seinen tiefliegenden, dunklen Augen jemanden ansehen wollte, er den Kopf ganz in den Nacken legen mußte. Er sah mit dem zugeknöpften langen Rocke und dem breitkrämpigen Hute beinahe wie ein riesiger Pilz aus.

Sein Hund war grau und langhaarig, hatte krumme Beine und einen zottigen Kopf mit klugen Augen. Der Mann ließ seinen Wagen auf der Straße stehen und ging in die Häuser, denn er kaufte Lumpen, Knochen und alle solche Dinge, welche kein Mensch mehr gebrauchen konnte. Hermann sah dem grauen Mann eben nach, wie er in ein Haus ging, als ein Straßenjunge ankam und den armen grauen Hund, der sich nicht wehren konnte, mit einem Stocke neckte. Als der Hund knurrte und bellte und nach dem Stocke schnappte, fing er sogar an, ihn zu prügeln, indem er sich an dem Gewinsel des armen Tieres ergötzte. Hermann geriet in gewaltigen Zorn darüber, riß dem Jungen den Stock aus der Hand und, indem er ihn herzhaft damit prügelte, sagte er: »Warte nur, du sollst auch einmal fühlen, wie das tut.« Der graue Mann war eben wieder aus der Tür getreten und bat Hermann einzuhalten. »Lassen Sie den Jungen nur laufen, er wird es gewiß nicht wieder tun«, meinte er. Hermann ließ den brüllenden und ganz verdutzten Jungen los und streichelte den Hund, der ihm dankbar die Hand leckte. Der alte Mann sah aber den armen Studenten recht freundlich an, drückte ihm die Hand und sagte: »Das will ich Ihnen gedenken . . . komm Bello.«

Hermann hörte noch, wie der alte Mann und sein Bello weiter fuhren, daß er vor sich hinmurmelte: »Das will ich ihm gedenken.« Und Bello wedelte dazu mit dem Schwanze, als wolle er dasselbe sagen.

Oft noch begegnete Hermann dem Lumpensammler auf der Straße; dann nickten sie sich einander freundlich zu und Bello sprang und bellte vor Freude. Der Sommer verging, es ward Herbst, bald fielen die ersten Schneeflocken, und dann kam die schöne Weihnachtszeit.

Der arme Student hatte aber keinen Menschen, der ihm etwas geschenkt hätte, keinen Menschen, der an diesem Abend seiner gedachte.

Am heiligen Abend, als es dunkel wurde, wanderte er durch die Straßen der Stadt, durch das Treiben und Drängen des Weihnachtsmarktes und war recht traurig und allein.

Er bog in eine dunkle Gasse, es wurde ihm so weh in dem bunten Treiben; da hörte er sich plötzlich angerufen und sah den alten grauen Mann m der Tür eines verfallenen Hauses stehen. Bello sprang ihm fröhlich entgegen. »Kommen Sie herein«, sagte der Mann. »Heute will ich Ihr Weihnachtsmann sein.« Er führte ihn in ein kleines warmes Stübchen. Eine Lampe stand auf dem Tische, davor lag eine aufgeschlagene Bibel. An den Wänden waren auf Borten allerlei Gegenstände aufgestellt, brauchbare und nicht brauchbare Dinge: Bücher und Gläser, Kochgeräte und alte Bilder, zerbrochene Töpfe und tausend andere Gegenstände, wie sie im Laden eines Trödlers sich finden.

Hermann und der alte Mann setzten sich an den Tisch. Dieser setzte eine große Hornbrille auf und las mit zitternder Stimme das Weihnachtsevangelium. Andächtig saß Hermann und hörte zu, und Bello spitzte seine Ohren und sah seinen Herrn so klug an, als ob er alles verstände. Die zitternde Stimme des Alten aber hob sich mehr und mehr, und klar und deutlich schloß er mit dem Spruche der Engel: »Ehre sei Gott in der Höh' und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.«

Dann kramte er in einem Auszuge herum und brachte eine Flasche Wein und einen großen Kuchen herbei. »Jetzt wollen wir Weihnacht feiern, sagte er, und Kuchen essen und Wein trinken. Heut ißt alle Welt Kuchen, und Bello bekommt auch welchen . . . das soll uns schmecken, nicht Bello?« Er schenkte den Wein in zwei funkelnde geschliffene Kristallgläser und forderte Hermann auf zu trinken. Wie duftete das. Wie feurig rollte ihm das Blut durch die Adern; es war ihm, als verdufte der Wein ihm auf der Zunge, er glaubte, lauter Geist zu trinken. Wie anders erschien ihm jetzt das ärmliche Gemach des Trödlers. Kostbare Vasen und herrliche Glasgefäße, die er zuvor für zerbrochene Töpfe gehalten, schimmerten an den Wänden. In den Ecken und Winkeln raschelte und huschte es geheimnisvoll; zuweilen schien es ihm, als sähen bärtige Zwergenköpfe hinter den mächtigen, goldverzierten Büchern hervor oder guckten aus den bunten Vasen heraus. Aber, wenn er schärfer hinsah, war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Der Alte hatte sich einen bunten Schlafrock angezogen und eine hohe, spitze Mütze aufgesetzt, so daß er aussah wie ein Zauberer.

»Jetzt besehen wir Bilder«, sagte er und legte einen großen Folianten auf den Tisch. Dann schlug er das Buch auf und berührte die Bilder mit einem bunten Stäbchen. Da war es, als würde alles lebendig.

Wie das lebte und wimmelte; das war ein Weihnachtsmarkt. Da waren Läden mit Spielsachen und bunten Pyramiden. Wie die Lichter schimmerten! Die Menschen gingen und kauften.

Dort standen auch Tannenbäume. Eine arme Frau hatte sich einen ganz kleinen Tannenbaum gekauft. Ihre beiden kleinen Kinder hatten sie ans Kleid gefaßt und waren sehr glücklich; nun bekamen auch sie einen Tannenbaum. Hermann glaubte, das Rufen der Verkäufer und die klagenden Töne der Drehorgel zu hören. Gingen nicht die Leute durcheinander? Das war ja kein Bild, das lebte alles und war wirklich . . . »Umschlagen!« befahl der alte Mann; und Hermann glaubte, einen Zwerg unter dem Blatte zu bemerken, welcher rasch umschlug und dann verschwand, als wäre er in das Bild hinein gekrochen.

Das war ein Seesturm. Wie die Wellen wogten und schäumten! Ein Schiff tanzte auf den Wellen; das Wasser spritzte über das Deck hin.

Das war ein Weihnachtsabend auf dem Meere. An der Leeseite, geschützt vor Wellen und Wind, saßen Matrosen und rauchten und schwatzten miteinander.

Den Arm um den Mast geschlungen, stand aber unbekümmert um Wind und Wetter der braune Schiffsjunge. War es Salzwasser oder waren es Tränen, die sein Gesicht benetzten? Jetzt sprangen seine Geschwister um den grünen, strahlenden Tannenbaum, jetzt dachte seine Mutter an ihn und weinte wohl und betete für den Sohn auf dem weiten, wilden Meer. Es war Weihnachtsabend und er noch so jung.

Ein anderes Blatt ward aufgeschlagen.

Das war eine lustige Gesellschaft. Auf dem Tische stand ein Tannenbaum mit vielen Lichtern. Studenten saßen um den Tisch und tranken Punsch; sie wollten auch Weihnacht feiern auf ihre Weise. An dem Tannenbaum hingen allerlei närrische Sachen: Kinderflöten, Hampelmänner und komische Puppen mit großen Köpfen. Drunter lag Papier und Körbe standen umher. Da hatten sie ausgepackt, was ihnen aus der Heimat geschickt war. Briefe und Geschenke waren dabeigewesen von Eltern und lieben Verwandten und wollene Strümpfe und viele Pfeffernüsse.

Der eine hatte eine Mettwurst gefaßt und sah sie an, als wolle er sagen: »Na, du sollst mir schmecken!« Es saß auch einer etwas an der Seite; der hatte eine bunte gestickte Brieftasche in der Hand und küßte sie heimlich. Und es war Hermann, als höre er Gläserklingen und fröhliches Gelächter.

Nun sah er ein trauriges Bild.

Der Vater lag auf dem Sterbebette. Die Mutter hatte die Hände unter seinen Kopf gelegt und hielt ihn, daß er seine Kinder noch einmal sehe. Die standen um das Bette herum und weinten. Es war auch ein kleiner blonder Krauskopf dabei, der weinte recht erbärmlich. Aber er weinte wohl nicht um den Vater, denn sein kleiner Verstand begriff noch nicht, was sterben heißt, er weinte, weil er nicht lachen und springen durfte und weil er keinen Tannenbaum haben sollte, wie die anderen Kinder, und das ist ein großes Herzeleid.

Und die Blätter wurden umgeschlagen, und Hermann saß und schaute und vergaß alles um sich her und lachte und weinte vor Freude über alles Herrliche, was sich seinen Blicken zeigte.

Immer lebendiger wurden die Bilder; ihm war, als schaue er in einen Rahmen hinein in die wirkliche Welt.

Als nun das Buch zu Ende war, rauschten die Blätter und wuchsen und breiteten sich aus. Grüne Tannenzweige schossen zwischen den Blättern auf, höher und höher, und lichte Funken sprühten dazwischen. Aus den Wänden drängte es sich hervor grün und lustig, die Decke wuchs, höher und höher, es war, als drängten die Tannenzweige sie auseinander. Lichter flimmerten auf den Zweigen, und aus dem Fußboden sproßten mächtige Blumen mit geschlossenen Knospen. Sie taten sich auf mit süßem Duft, und lustige Gestalten schwebten hervor mit zarten Flügelchen. Sie flogen anmutig durch die Luft, und als Hermann aufsah, war aus den Blättern des Buches ein mächtiger Tannenbaum hervorgewachsen mit tausend strahlenden Lichtern.

Die lichten Gestalten umschwebten ihn und flatterten und spielten zwischen den grünen Zweigen.

Hermann bemerkte jetzt, daß er ganz allein sei. Plötzlich aber taten sich die Tannenzweige voneinander, und ein schönes Mädchen trat hervor in einem weißen Kleide mit einem Fichtenkranz im Haar. Sie nahm Hermann bei der Hand, und sie stiegen wie auf einer Wendeltreppe hinauf in den mächtigen Tannenbaum. Hermann wagte nicht zu sprechen; ihm war so feierlich zu Mute, und das Mädchen war so schön. Es war ihm immer, als höre er in der Ferne die mächtigen Töne einer Orgel und den Gesang andächtiger Menschen. Sie stiegen immer höher; zuweilen sah er durch die Zweige den dunklen Nachthimmel mit seinen blitzenden Sternen.

Oben aber sah er plötzlich hinaus über die ganze Stadt. Die Häuser strahlten und leuchteten im Weihnachtsglanze und fröhliche Stimmen drangen zu ihm herauf. »Sieh empor«, sagte das Mädchen.

Und er sah einen weißen Nebel am Himmel, der zerriß plötzlich, und es war, als sehe er mitten in den Himmel hinein. Da schwebten in strahlenden Wolken Engel in weißen Gewändern auf und nieder und trugen Palmzweige in den Händen und sagen: »Ehre sei Gott in der Höh', und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.«

»Aber es ist nun hohe Zeit, daß Sie nach Hause gehen«, schnarrte ihm plötzlich die Stimme des alten Trödlers ins Ohr, »es ist bald Mitternacht.« Und da saß er wieder am Tische, und alles sah ganz gewöhnlich aus. Das Buch war fort und der Alte kramte in einer Schieblade. »Sie schliefen wohl recht schön?« meinte er jetzt. »Habe ich denn geträumt?« sagte Hermann ganz verwirrt. »Gehen Sie zu Bette, Sie sind müde«, sagte der Alte, »und hier will ich Ihnen auch etwas schenken, das kann ein fleißiger Student wohl gebrauchen.« Damit drückte er ihm ein altes, wunderlich geformtes Schreibzeug in die Hand und schob ihn zur Tür hinaus. Und als Hermann durch die gasbeleuchteten Straßen nach Hause wankte, da war es ihm wie ein Traum.

Als Hermann am anderen Morgen spät erwachte, glaubte er, er hätte alles geträumt; aber da sah er das Schreibzeug auf dem Tische stehen, welches ihm der alte Mann geschenkt hatte. Alle die bunten Bilder zogen an seinem Geiste vorüber, welche er am vergangenen Abend geschaut hatte.

Er stand auf und sah aus dem Fenster. In der Nacht war Schnee gefallen. Da lagen alle die weißen Dächer im Sonnenschein, der Himmel war klar, die Sperlinge zwitscherten, und die Luft war voller Glockenklang. Das war ein schöner Weihnachtstag.

Als Hermann zur Kirche ging, sah er an den Fenstern die Kinder mit ihren neuen Spielsachen spielen.

Sie hatten alle neue Weihnachtskleider an und glückliche Augen und selige Gesichter. Vor einer Haustür stand ein ganz kleines Mädchen mit ihrer größeren Schwester. In der einen Hand hatte sie eine Puppe, in der anderen eine Pfeffernuß. »Da Mann«, sagte sie und hielt Hermann die Pfeffernuß hin. Wie lachte sie vergnügt, als Hermann sie wirklich nahm und dankend weiter ging.

Der erste Weihnachtstag ging zu Ende. Hermann saß einsam in seinem Stübchen am Tische. Traulich leuchtete die Lampe, und lustig brannte das Feuer im eisernen Ofen. Er hatte einen Bogen weißes Papier vor sich und betrachtete nachdenklich das Schreibzeug. Dasselbe war zierlich aus Metall gearbeitet, es befand sich ein Sandfaß, ein Dintenfaß und ein Behälter für Stahlfedern darin. Zierliche, von durchbrochenem Blätterwerk gebildete Ranken, anmutig durchflochten, bildeten das Gestell. Zwischen den Blättern saßen niedliche Eidechsen, Käfer und Schmetterlinge. Zwergengestalten mit bärtigen Gesichtern lugten hier aus den Ranken und dort aus den Blumen neigten mit halbem Leibe leichte Elfchen sich vor. Ja zuweilen war es Hermann, als lebe alles und bewege sich durcheinander, aber dann war alles wieder starr und steif. In der Mitte aber, wie in einer kleinen Grotte, saß unter den Blättern ein feines, zierliches Mädchen mit einem Krönchen auf dem Haupte und einem Stäbchen in der Hand; das war so fein und zart gearbeitet, daß Hermann kein Auge davon verwenden konnte.

Ihm war, als müsse er etwa schreiben.

Als er die Feder ins Dintenfaß tauchte, fühlte er einen leisen Schlag und ein Zucken in den Fingern, und jetzt sah er deutlich: der eine der Zwerge nickte ihm zu, und jetzt auch die anderen, und dann war alles Leben und Bewegung. Die Ranken dehnten sich aus und wuchsen und breiteten sich über den Tisch. Prächtige Blütenbäume schössen in die Höhe und sandten rankende Zweige und blumige Schlingen nach allen Seiten. Die Zwerge kamen hervor und verschwanden wieder zwischen den Ranken. Köstliche Blumen, rot, weiß und blau, taten sich auf; aus jeder schwebte ein Elfchen hervor und flatterte dann in das Blütengewirr hinein. Bis zur Decke hinauf war nun alles voller Blüten und Blätter und zierlicher Ranken. Schmetterlinge gaukelten dazwischen, große glänzende Käfer krochen an den Stengeln, und schillernde Eidechsen schlüpften durch die blumigen Gewinde.

Da taten sich die Zweige voneinander, liebliche, lustige Musik erklang, und hervor aus dem Blumengewirr kam ein wunderlicher Zug. Voran bärtige Zwerglein mit blitzenden, goldenen Trompeten, gebogenen Hörnern, kleinen Pauken und lieblichen Flöten. Dann folgten andere Zwerge in goldblitzenden Harnischen auf gewaltigen Hirschkäfern reitend. Sie trugen kleine Lanzen in den Händen, und es war lächerlich anzusehen, wie gravitätisch sie auf ihren braunen Rößlein saßen, und wie die dicken Käfer mit ihren sechs Beinen sich bemühten, nach dem Takte zu marschieren. Hinterher kam eine leichte Elfenschar marschiert mit spitzen Hüten, scharfe Grashalme als Schwerter in den Händen tragend. Aber die liefen ein wenig durcheinander, denn das Elfenvolk ist viel zu windig, um ordentlich zu marschieren.

Jetzt klangen silberne Glöcklein, und zierliche, weiße Elfenmädchen tanzten herbei, kleine Glöckchen an schwanken Stielen in der Hand, und darauf folgte auf einem von Blüten geflochtenen Throne, getragen von zwölf Elfen, ein wunderschönes Mädchen in weißem, duftigem Kleide, ein goldenes Krönchen auf dem Kopfe und ein weißes Stäbchen in der Hand. Zur Seite gingen graubärtige Zwerge in flimmernden Schuppenpanzern mit blanken Hellebarden bewaffnet. Über dem Thron und hinter demselben, ihn von allen Seiten umschwärmend, tummelten sich lustige, flinke Elfen auf prächtigen Schmetterlingen. Sie trugen blitzende Lanzen in der Hand, so fein und glänzend wie ein Sonnenstrahl. Dann folgten wieder Mädchen mit Glöckchen in den Händen, dann eine Schar lustiger Elfen, und zum Schluß kamen auf flinken Eidechsen geritten schwarzbärtige Zwerge mit Turbanen und krummen Säbeln.

Der Thron wurde in der Mitte hingesetzt, und die bunten Scharen stellten sich zu beiden Seiten desselben auf, bis auf die leichten Schmetterlingsreiter, welche lustig in der Luft auf ihren bunten Pferdchen umherschwärmten. Jetzt bliesen die Musikanten einen dreimaligen Tusch, und alle Zwerge und Elfen riefen mit ihren feinen Stimmen dreimal Hurra, so laut sie konnten.

Dann erhob sich das Mädchen von seinem Sitze, verneigte sich dreimal vor Hermann und sprach: »Mein Gebieter und Herr, wirst Du mir und meinem Volke erlauben, heute Nacht ein Fest hier zu feiern?« »Wer bist Du?« fragte Hermann, von all' dem Wunderbaren ganz verwirrt. »Ich bin das Märchen«, sprach sie, »und deiner Feder untenan, gnädiger Gebieter.« Und Hermann nickte mit dem Kopfe, denn er wußte nicht, was er dazu sagen sollte.

Da bildete die lustige Schar einen Halbkreis, welcher an der Seite, wo Hermann saß, offen blieb. Die Elfen und Zwerglein saßen auf der Erde, dahinter die Elfenmädchen auf einer Erhöhung, in der Mitte die Königin. Die Hirschkäfer und die Eidechsen wurden in das Moos gelassen, und die Schmetterlingsreiter banden ihre lustigen Pferdlein mit Spinnenfäden an die Blumen, damit sie sich am Blumensaft erquicken möchten.

Nun begannen die lustigsten Spiele.

Da tanzten Elfen auf ausgespannten Spinnenfäden, kleine Mädchen liefen auf rollenden Tautropfen. Ein dicker Zwerg balancierte eine Königskerze in seinem Gürtel; Elfen kletterten hinauf, und ganz oben stand ein kleiner Knabe auf der Zehenspitze.

Das war ein Kraftstück, und alle klatschten in die Hände und riefen: »Bravo! Bravo.«

Dann wurden Kampfspiele aufgeführt.

Zwölf Mann von der Hischkäferreiterei kämpften mit zwölf Mann von den Eidechsenreitern. Wie tapfer hieben sie aufeinander los! Die kleinen Säbel klirrten und hageldicht fielen die Schläge auf die blinkenden Panzer. Die Hirschkäfer fochten eifrig mit und kniffen die armen Eidechsen ganz jämmerlich mit ihren harten Zangen. Der eine hatte eine Eidechse beim Schwanz gepackt. Diese suchte zu entfliehen, trotz allen Spornens; der Reiter aber hatte sich umgedreht und verteidigte sich gegen den Hirschkäferreiter, er bewies, daß er auch im Fliehen zu fechten verstand.

Jetzt folgte ein Luftgefecht. Da schwirrten die leichten Reiter auf ihren flinken Schmetterlingen durch die Luft, bald über-, bald untereinander. Das war ein buntes Getümmel. Zuweilen stürzte einer nieder zur Erde, aber wie ein Blitz war er wieder auf den Beinen, bestieg ein anderes Pferdchen und war wieder mitten dazwischen.

Nun wurde getanzt. Das war einmal eine komische Musik. Da kamen die Zwerge angewackelt mit Hacken auf den Schultern und kleine, blaue Lichter auf dem Kopfe tragend. Jeder hatte einen blitzenden Edelstein oder ein Stück schimmerndes Erz in der Hand. Sie bildeten einen Kreis, tanzten dann zur Mitte und legten die Steine alle auf einen Haufen. Dann tanzten sie mit wunderlichen Sprüngen umher, während sie mit brummenden Stimmen zu dem Takte der Musik sangen und dabei häufig mit dem Fuße stampften: »Kleine Zwerge, tief im Berge, müssen graben, müssen hacken, und sich placken, Tag und Nacht, auf und ab, Klipp und Klapp, Trapp, Trapp. Kleine Zwerge, tief im Berge« . . .

Und während sie so stampften und sprangen, sanken sie allmählich immer tiefer in den Boden. Bald sahen nur noch die bärtigen Gesichter hervor. Dann versanken sie ganz, und nur die blauen Flämmchen flackerten noch an den Stellen, wo sie verschwunden waren. Man hörte noch ganz dumpf unter der Erde den wunderlichen Gesang: . . . Trapp, Trapp, auf und ab, graben, hacken . . . dann war alles still und die Lichtlein verlöschten.

Jetzt kam wieder eine leichte, lustige Musik.

Da nahmen alle Elfen langstielige Blüten in die Hände und schwebten und tanzten anmutig durcheinander, in der Mitte die holde Königin.

Darüber, wie eine bunte Wolke, flatterten die schimmernden Schmetterlinge. Dazu sangen die Elfen leise und anmutig:

Tanzen, schweben, holdes Leben,
Elfenreigen in der Nacht.
Tanzen, schweben, holdes Leben,
Bis der junge Tag erwacht.

Und wie Hermann das bunte Gewimmel anschaute, war es ihm, als würde es immer undeutlicher vor seinen Augen, als wäre ein Schleier davorgezogen. Wie im Nebel sah er die zierlichen Gestalten durcheinander wogen und wie aus der Ferne hörte er den Gesang:

Tanzen, schweben, holdes Leben,
Elfenreigen in der Nacht.
Tanzen, schweben . . .

Dann war alles still, und wie ein dunkler Schleier senkte es sich vor seine Augen.

Als er seine Augen wieder aufschlug, war es Morgen, und er lag ganz ordentlich in seinem Bette. Vom nächsten Kirchturm schlug die Uhr acht. Er rieb sich die Stirn, richtete sich im Bette auf und sah nach seinem Dintenfaß. Das stand auf dem Tische und sah gar nicht anders aus wie sonst.

Als er aufgestanden war und sich seinem Tische näherte, da wunderte er sich, denn das ganze Blatt, welches er am gestrigen Abend vor sich gelegt hatte, war eng beschrieben, und zwar von feiner Hand.

Als er anfing, das Geschriebene zu lesen, da fand er, daß es eine ganz genaue Beschreibung des Elfenfestes war. Da erkannte der arme Student, welchen Schatz der alte Mann ihm geschenkt hatte.

Er machte sich sogleich auf, ihn zu besuchen und ihm für sein Geschenk zu danken. Als er aber in die Straße kam, wo er ihn damals gefunden hatte, war in der ganzen Straße kein solches Haus zu finden, und niemals hat er den alten Trödler wieder gesehen.

Aber noch an manchem Abend stellte er das Dintenfaß auf den Tisch, legte ein Blatt Papier vor sich hin, nahm die Feder in die Hand, und dann geschahen die wunderlichen Märchen.

Die Kinder aber, welche in dem Hause wohnten, hatten es sehr gut, denn des Abends, wenn es dunkel ward, kamen sie zu Hermann und setzten sich um ihn herum, und dann erzählte er ihnen alle diese schönen Geschichten. Die möchtet ihr nun auch wohl gerne hören. Ja, wenn ich noch mehr von dem armen Studenten und seinem wunderbaren Dintenfaß erfahre, dann erzähle ich es euch wieder, darauf könnt ihr euch verlassen.

Heinrich Seidel, 1842 - 1806