Es waren einmal zwei arme Holzhauer, die durch einen großen Fichtenwald nach Hause gingen. Es war Winter und eine bitterkalte Nacht. Der Schnee lag dick auf dem Boden und auf den Ästen der Bäume, und rechts und links, wo sie vorbeigingen, knarrten die kleinen Zweige vor Frost. Als sie zu dem Gebirgsbach kamen, hing er bewegungslos in der Luft, denn der Eiskönig hatte ihn geküßt.

So kalt war es, daß selbst die vierfüßigen Tiere und die Vögel nicht wußten, was sie dazu sagen sollten.

»Hu!« knurrte der Wolf und hinkte, den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, durch das Unterholz. »Dies ist ein einfach scheußliches Wetter. Warum bekümmert sich die Regierung nicht darum?«

»Witt! witt! witt!« zwitscherten die grünen Hänflinge. »Die alte Erde ist tot, und sie haben sie in ihrem weißen Totenkleid aufgebahrt.«

»Die Erde will sich verheiraten, und dies ist ihr Brautgewand,« flüsterten sich die Turteltauben zu. Ihre kleinen, rosigen Füße waren ganz erfroren, aber sie hielten es für ihre Pflicht, die Lage von der romantischen Seite aufzufassen.

»Unsinn,« heulte der Wolf. »Ich sage euch, nur die Regierung ist daran schuld, und wenn ihr mir nicht glaubt, freß ich euch auf.« Der Wolf war durchaus Praktiker und nie um gute Gründe verlegen.

»Nun, was mich angeht,« sagte der Specht, der ein geborener Philosoph war, »so kümmere ich mich um keine, noch so subtilen Erklärungstheorien. Wie etwas ist, so ist es, und augenblicklich ist es schrecklich kalt.«

Schrecklich kalt war es wirklich. Die kleinen Eichhörnchen, die in den hohen Fichtenbäumen wohnten, rieben sich gegenseitig immerfort die Nasen, um sich warm zu halten, und die Kaninchen rollten sich in ihren Höhlen zusammen und wagten nicht einmal, aus ihren Türen zu blicken. Die einzigen Wesen, die an der Kälte Freude zu haben schienen, waren die großohrigen Eulen. Ihre Federn waren ganz hart vom Reif, aber das kümmerte sie nicht, und sie rollten ihre großen, gelben Augen und riefen sich durch den Wald hin zu: »Tuwitt! Tuhu! Tuwitt! Tuhu! Was haben wir doch für ein wundervolles Wetter!«

Immer weiter gingen die beiden Holzhauer, hauchten sich munter auf die Finger und stampften mit ihren großen, eisenbeschlagenen Schuhen auf den festen Schnee. Einmal versanken sie in einer tiefen Schneewehe und kamen so weiß heraus wie Müller, wenn die Steine mahlen; und einmal glitten sie auf dem harten, glatten Eise aus, als sie über gefrorenes Moorwasser gingen, und ihre Holzscheite fielen aus ihren Bündeln, so daß sie sie wieder auflesen und von neuem zusammenbinden mußten; und einmal glaubten sie, sie hätten ihren Weg verloren, und ein großer Schrecken überkam sie, denn sie wußten, wie grausam der Schnee gegen die ist, die in seinem Arm schlafen. Aber sie setzten ihr Vertrauen auf den guten Sankt Martin, der über allen Wanderern wacht. Sie gingen behutsam in ihren Fußstapfen zurück, und schließlich erreichten sie doch den Rand des Waldes und sahen tief unter sich im Tale die Lichter des Dorfes, in dem sie lebten. So überfroh waren sie ob ihrer Errettung, daß sie laut lachten, und die Erde erschien ihnen wie eine Blume von Silber und der Mond wie eine Blume von Gold.

Aber nachdem sie gelacht hatten, wurden sie traurig, denn sie erinnerten sich an ihre Armut, und einer von ihnen sagte zum andern: »Warum sind wir fröhlich geworden? Wir sehen doch, daß das Leben für die Reichen da ist und nicht für unsereinen. Besser, wir wären im Walde vor Kälte gestorben, oder ein wildes Tier hätte uns angefallen und getötet.«

»Du hast recht,« antwortete sein Gefährte. »Den einen wird viel, den andern wenig gegeben. Ungerechtigkeit hat die Welt verteilt, und in nichts sind wir gleich als im Leid.«

Aber als sie so einander ihr Leid klagten, da geschah etwas Seltsames. Ein sehr heller und schöner Stern fiel vom Himmel. Er glitt von der Himmelswand herab und an den andern Sternen vorbei, und als sie ihn staunend beobachteten, schien es ihnen, als sei er hinter einer Gruppe von Weidenbäumen versunken, die dicht bei einer kleinen Schafhürde stand, kaum einen Steinwurf von ihnen entfernt.

»Wer ihn findet, stößt auf einen Topf voll Gold,« riefen sie und begannen schnell dahinzulaufen, so begierig waren sie auf das Gold.

Und der eine von ihnen lief schneller als sein Gefährte und kam ihm zuvor. Er zwängte sich durch die Weiden und gelangte an die andere Seite, und siehe, da lag wirklich etwas Goldenes auf dem weißen Schnee. Da eilte er hin, beugte sich nieder und legte seine Hand darauf. Und es war ein golddurchwebtes Tuch, das seltsam mit Sternen bestickt und in viele Falten geschlagen war. Und er rief seinem Kameraden, er habe den Schatz gefunden, der vom Himmel gefallen sei, und als sein Kamerad herangekommen war, da setzten sie sich in den Schnee hin und öffneten die Falten des Tuches, um die Goldstücke zu teilen. Aber ach, kein Gold war darin und kein Silber, noch überhaupt irgendein Schatz, sondern nur ein kleines Kind, das schlief.

Da sprach der eine zu dem andern: »Das ist ein bitteres Ende unserer Hoffnung, und wir haben kein Glück, denn was nützt ein Kind einem Manne? Wir wollen es hier liegen lassen und unserer Wege gehen, denn wir sind arme Männer und haben selbst Kinder, deren Brot wir nicht einem andern geben können.«

Doch sein Geführte antwortete ihm: »Nein, es wäre schlecht, das Kind hier im Schnee umkommen zu lassen, und wenn ich auch so arm bin wie du und viele Münder zu füttern und nur wenig im Topf habe, so will ich es doch mit nach Hause nehmen, und mein Weib soll dafür sorgen.«

So nahm er denn ganz behutsam das Kind auf, wickelte das Tuch darum, um es vor der rauhen Kälte zu schützen, und ging den Hügel hinab nach dem Dorfe, und sein Kamerad wunderte sich sehr über seine Torheit und Gutmütigkeit.

Und als sie zum Dorf kamen, sagte sein Kamerad zu ihm: »Du hast das Kind, darum gib mir das Tuch, denn es ist nur billig, daß wir teilen.«

Aber er antwortete ihm: »Nein, das Tuch gehört weder dir noch mir, sondern nur dem Kinde.«

Und er bot ihm Lebewohl, ging nach seinem Hause und klopfte. Und als seine Frau die Tür öffnete und sah, daß ihr Mann heil zurückgekehrt war, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn. Sie nahm das Bündel mit Holzscheiten von seinem Rücken, fegte den Schnee von seinen Schuhen und bat ihn, hereinzukommen.

Aber er sprach zu ihr: »Ich habe etwas im Walde gefunden und habe es dir gebracht, damit du dafür sorgst.« Und er rührte sich nicht von der Schwelle.

»Was ist es?« rief sie. »Zeige es mir, denn das Haus ist leer, und wir brauchen manches.« Und er zog das Tuch zurück und zeigte ihr das schlafende Kind.

»O weh, Vater!« murmelte sie, »haben wir nicht eigene Kinder, daß du einen Wechselbalg mitbringen mußt, der am Herde sitzt? Und wer weiß, ob er uns nicht Unglück bringt? Und wie sollen wir ihn pflegen?« Und sie war zornig auf ihn.

»Es ist aber ein Sternenkind,« antwortete er; und er erzählte ihr die seltsame Art, wie er es gefunden hatte.

Aber sie wollte sich nicht besänftigen lassen, sondern spottete über ihn und sprach ärgerlich: »Unsere Kinder haben kein Brot, und da sollen wir das Kind eines andern füttern? Wer sorgt für uns? Wer gibt uns zu essen?«

»Gott sorgt sogar für die Sperlinge und ernährt sie,« antwortete er.

»Sterben nicht die Sperlinge im Winter vor Hunger?« fragte sie. »Und ist es jetzt nicht Winter?« Aber der Mann antwortete nichts und wich auch nicht von der Schwelle.

Und ein scharfer Wind drang aus dem Wald in die offene Tür, daß sie zitterte. Ein Schaudern überkam sie, und sie sprach zu ihm: »Willst du nicht die Türe schließen? Ein scharfer Wind dringt in das Haus, und mich friert.«

»Kommt in ein Haus, wo ein hartherziger Mensch lebt, nicht immer ein scharfer Wind?« fragte er. Und die Frau antwortete ihm nicht, sondern schlich dichter an das Feuer.

Aber nach einer Weile wandte sie sich um und sah ihn an, und ihre Augen standen voll Tränen. Da trat er schnell hinein und legte das Kind in ihre Arme. Sie küßte es und barg es in einem kleinen Bett, wo das jüngste ihrer eigenen Kinder schlief. Und am Morgen nahm der Holzhauer das seltsame, goldene Tuch und legte es in eine große Truhe, und sein Weib nahm eine Bernsteinkette, die um den Hals des Kindes geschlungen war, und barg sie ebenfalls in der Truhe.

So wurde das Sternenkind mit den Kindern des Holzhauers aufgezogen, saß mit ihnen am gleichen Tisch und war ihr Spielgefährte. Und mit jedem Jahr wurde es schöner von Angesicht, so daß alle, die im Dorfe wohnten, darüber staunten. Denn, während sie dunkelhäutig und schwarzhaarig waren, war es weiß und zart wie geschnitztes Elfenbein, und seine Locken waren wie das Rund gelber Narzissen. Seine Lippen waren wie rote Blütenblätter, seine Augen wie Veilchen, die an einer Strömung klaren Wassers stehen, und sein Körper wie die wilde Narzisse des Feldes, wenn der Mäher nicht kommt.

Aber seine Schönheit machte es böse. Denn es wurde stolz und grausam und selbstsüchtig. Es verachtete die Kinder des Holzfällers und die andern Kinder aus dem Dorfe und sagte, sie seien von gewöhnlicher Herkunft, während es selbst vornehm sei, denn es stamme von einem Stern. Und es machte sich zum Herrn über sie und nannte sie seine Diener. Kein Mitleid hatte es mit den Armen, noch mit solchen, die blind oder lahm oder mit Gebresten behaftet waren. Es warf mit Steinen nach ihnen, trieb sie auf die Landstraße hinaus und hieß sie, ihr Brot anderswo zu erbetteln, so daß niemand außer den Geächteten zweimal in jenes Dorf nach Almosen kam. Es war ganz in die Schönheit vernarrt, spottete über die Schwachen und Häßlichen und machte sich lustig über sie. Aber sich selbst liebte es, und zur Sommerzeit, wenn kein Wind wehte, lag es bei dem Brunnen in dem Obstgarten des Priesters und blickte auf das Wunder seines Gesichts hinab und lachte vor Lust über seine Schönheit.

Oft schalten es der Holzhauer und sein Weib und sprachen: »Wir haben an dir nicht so gehandelt, wie du an denen handelst, die verlassen sind und keine Hilfe haben. Warum bist du so grausam gegen alle, die des Mitleids bedürfen?« Oft schickte der alte Priester nach ihm und suchte ihn die Liebe zu allem Lebendigen zu lehren und sprach: »Die Fliege ist dein Bruder. Tu ihr nichts Böses. Die wilden Vögel, die durch den Wald fliegen, haben ihre Freiheit. Fange sie nicht zu deinem Vergnügen. Gott schuf die Blindschleiche und den Maulwurf, und jedes hat seinen Platz. Wer bist du, daß du Schmerz in Gottes Welt bringst? Selbst das Vieh auf der Weide lobt den Herrn.«

Aber das Sternenkind achtete nicht auf ihre Worte, sondern verzog seine Lippen und spöttelte. Und es ging zu seinen Gefährten und führte sie an. Und seine Gefährten folgten ihm, denn es war schön und flink von Füßen, und es konnte tanzen und pfeifen und Musik machen. Wohin sie das Sternenkind führte, dahin folgten sie ihm, und was ihnen das Sternenkind zu tun gebot, das taten sie. Und wenn es mit einem spitzen Ried die blinden Augen des Maulwurfs durchbohrte, lachten sie, und wenn es Steine nach den Aussätzigen warf, lachten sie auch. In allen Dingen beherrschte es sie, und sie wurden so hartherzig, wie es selbst war.

Nun kam eines Tages eine arme Bettlerin durch das Dorf. Ihre Kleider waren zerlumpt und zerrissen, ihre Füße bluteten von der harten Straße, die sie gegangen war, und sie befand sich in einem sehr elenden Zustand. Da sie müde war, setzte sie sich unter einen Kastanienbaum, um auszuruhen.

Aber als das Sternenkind sie sah, sagte es zu seinen Gefährten: »Seht, da sitzt ein schmutziges Bettelweib unter dem schönen, grünbelaubten Baum. Kommt, laßt uns sie forttreiben, denn sie ist häßlich und widerlich.«

Und es näherte sich ihr, warf mit Steinen nach ihr und verspottete sie. Sie aber sah es mit Schrecken in den Augen an und wandte keinen Blick von ihm. Als nun der Holzhauer, der in der Nähe auf einem Holzplatz Scheite spaltete, sah, was das Sternenkind tat, lief er herbei, schalt es und sprach zu ihm: »Wirklich, du bist hartherzig und kennst kein Mitleid. Was hat dir denn diese arme Frau zuleid getan, daß du sie so behandelst?«

Und das Sternenkind wurde rot vor Zorn, stampfte mit dem Fuß auf den Boden und sagte: »Wer bist du, daß du mich fragst, was ich tue? Ich bin nicht dein Sohn, daß ich dir gehorchen muß.«

»Das ist wahr,« sprach der Holzhauer. »Aber ich bin mitleidig gegen dich gewesen, als ich dich im Walde fand.«

Aber als die Frau diese Worte hörte, stieß sie einen lauten Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Und der Holzhauer trug sie in sein Haus, und sein Weib mußte sich ihrer annehmen, und als sie aus der Ohnmacht, in die sie gefallen war, wieder erwachte, setzten sie Speise und Trank vor sie hin und baten sie, sich zu erquicken.

Aber sie wollte weder essen noch trinken, sondern sprach zu dem Holzhauer: »Sagtest du nicht, das Kind sei im Walde gefunden worden? Und geschah das nicht heute vor zehn Jahren?«

Und der Holzhauer antwortete: »Ja, ich habe es im Walde gefunden, und es werden heute zehn Jahre, daß es geschah.« »Und welche Zeichen fandest du an ihm?« rief sie. »Trug es nicht an seinem Hals eine Bernsteinkette? War es nicht eingehüllt in ein Tuch von gewebtem Gold, mit Sternen bestickt?«

»Gewiß,« antwortete der Holzhauer, »es war genau so, wie du gesagt hast.« Und er nahm das Tuch und die Bernsteinkette aus der Truhe, wo sie lagen, und zeigte sie der Frau.

Und als sie sie sah, weinte sie vor Freuden und sprach: »Er ist mein kleiner Sohn, den ich im Walde verloren habe. Ich bitte dich, sende schnell nach ihm, denn ihn zu finden, bin ich über die ganze Welt gewandert.«

Da liefen der Holzhauer und sein Weib hinaus, riefen nach dem Sternenkind und sagten: »Geh' in das Haus, dort wirst du deine Mutter finden, die auf dich wartet.«

Da lief es, von Erwartung und großer Freude erfüllt, hinein. Aber als es die sah, die da wartete, lachte es verächtlich und sprach: »Nun, wo ist meine Mutter? Denn ich sehe hier niemand als dieses gemeine Bettelweib.«

Und die Frau antwortete ihm: »Ich bin deine Mutter.«

»Du bist wahnsinnig, so etwas zu sagen,« schrie das Sternenkind zornig. »Ich bin nicht dein Kind, denn du bist eine häßliche und zerlumpte Bettlerin. Darum schere dich fort von hier und laß mich dein schmutziges Gesicht nicht mehr sehen.«

»Nein, du bist wirklich mein kleiner Sohn, den ich in den Wald trug,« rief sie und fiel auf die Knie und streckte ihre Arme nach ihm aus. »Die Räuber haben dich mir gestohlen und dich dann zurückgelassen, damit du sterben solltest,« murmelte sie. »Aber ich erkannte dich, als ich dich sah, und die Zeichen habe ich auch erkannt, das goldgewebte Tuch und die Bernsteinkette. Darum bitte ich dich, komm mit mir, denn über die ganze Erde bin ich gewandert, um dich zu suchen. Komm mit mir, mein Sohn, denn ich brauche deine Liebe.«

Aber das Sternenkind rührte sich nicht von seinem Platz, sondern verschloß die Tore seines Herzens vor ihr, und man hörte keinen Laut außer dem Schluchzen der Frau, die vor Schmerz weinte.

Schließlich sprach es dann zu ihr, und seine Sprache war scharf und bitter: »Wenn du wirklich meine Mutter bist,« sagte es, »dann wärest du besser ferngeblieben, statt hierherzukommen und mir Schande zu bringen. Denn ich glaubte, ich sei das Kind irgendeines Sternes und nicht ein Bettlerkind, wie du es mir erzählt hast. Also mache dich fort und laß mich dich niemals wiedersehen.«

»Ach, mein Sohn,« rief sie, »willst du mich nicht küssen, bevor ich gehe? Denn ich habe viel durchgemacht, um dich zu finden.«

»Nein,« sagte das Sternenkind, »du bist widerwärtig anzusehen, und eher würde ich die Natter oder die Kröte küssen als dich.«

Da erhob sich die Frau und ging bitterlich weinend in den Wald, und als das Sternenkind sah, daß sie gegangen war, wurde es froh und lief zurück zu seinen Spielgefährten, um mit ihnen zu spielen.

Aber als sie es kommen sahen, spotteten sie seiner und sprachen: »Du bist ja so widerwärtig wie eine Kröte und so ekelhaft wie eine Natter. Scher' dich fort von hier, denn wir dulden nicht, daß du mit uns spielst.« Und sie vertrieben es aus dem Garten. Und das Sternenkind runzelte die Stirne und sprach zu sich: »Was bedeutet das, was sie mir sagen? Ich will zum Wasserbrunnen gehen und hineinsehen, er soll mir meine Schönheit zeigen.«

Da ging es zu dem Wasserbrunnen und blickte hinein, und siehe, sein Gesicht war wie das Gesicht einer Kröte und sein Körper war geschuppt wie der einer Natter. Und es warf sich in das Gras und weinte und sprach zu sich: »Sicherlich ist dies durch meine Sünde über mich gekommen. Denn ich habe meine Mutter verleugnet und sie davongetrieben, ich war stolz und grausam gegen sie. Deshalb will ich mich aufmachen und in der ganzen Welt nach ihr suchen und nicht ruhen, bis ich sie gefunden habe.«

Und da kam zu ihm die kleine Tochter des Holzhauers, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Was macht es aus, daß du deine Schönheit verloren hast? Bleibe bei uns, und ich will nicht über dich spotten.«

Aber es sprach zu ihr: »Nein, ich bin grausam gegen meine Mutter gewesen, und als Strafe ist mir dieses Übel gesandt worden. Deshalb muß ich hingehen und die Welt durchwandern, bis ich sie gefunden, und bis sie mir vergeben hat.«

So lief es hinaus in den Wald und rief nach seiner Mutter, sie sollte zu ihm kommen, aber es fand keine Antwort. Den ganzen Tag über rief es nach ihr, und als die Sonne unterging, legte es sich aufs Laubbett schlafen. Aber die Vögel und das Wild flohen vor ihm, denn sie erinnerten sich seiner Grausamkeit, und niemand war bei ihm als die Kröte, die ihn bewachte, und die langsame Natter, die vorbeikroch.

Und des Morgens erhob es sich, pflückte ein paar bittere Beeren von den Bäumen und aß sie und wanderte schmerzlich weinend durch den großen Wald. Und wen es traf, den fragte es, ob er nicht zufällig seine Mutter gesehen habe.

Es sprach zu dem Maulwurf: »Du kannst unter die Erde gehen. Sage mir, ist meine Mutter dort?«

Und der Maulwurf antwortete: »Du hast meine Augen geblendet. Wie soll ich das wissen?«

Es sprach zu dem Hänfling: »Du kannst über die Wipfel der hohen Bäume fliegen und kannst die ganze Welt sehen. Sage mir, kannst du meine Mutter sehen?«

Und der Hänfling antwortete: »Du hast meine Flügel zu deinem Vergnügen beschnitten. Wie sollte ich fliegen können?«

Und zu dem kleinen Eichhörnchen, das einsam in dem Fichtenbaum wohnte, sprach es: »Wo ist meine Mutter?«

Und das Eichhörnchen antwortete: »Du hast die meine getötet. Willst du jetzt auch deine töten?«

Da weinte das Sternenkind und senkte sein Haupt. Es bat Gottes Geschöpfe um Vergebung und ging weiter durch den Wald, um nach dem Bettelweib zu suchen. Und am dritten Tag kam es an die andere Seite des Waldes und schritt hinab in die Ebene.

Und wenn es durch die Dörfer ging, spotteten die Kinder und warfen ihm Steine nach. Die Bauern wollten es nicht einmal in den Ställen schlafen lassen, aus Furcht, es könnte dem aufgespeicherten Korn Schimmel bringen, so widerwärtig war es anzusehen. Ihre Knechte trieben es davon, und keiner hatte Mitleid mit ihm. Auch konnte es nirgendwo etwas von dem Bettelweib erfahren, das seine Mutter war, obgleich es drei Jahre lang die Welt durchwanderte. Oft schien es ihm, als sähe es sie vor sich auf der Straße, dann rief es nach ihr und rannte hinter ihr her, bis seine Füße von den scharfen Steinen bluteten. Aber einholen konnte er sie nie, und die am Wege wohnten, leugneten immer, sie oder eine, die ihr glich, gesehen zu haben, und sie belustigten sich über sein Leid.

Drei Jahre lang wanderte es durch die Welt, und in der Welt war weder Liebe, noch freundliche Güte, noch Barmherzigkeit für das Sternenkind, sondern es war eine Welt, wie es sie sich selbst in den Tagen seines großen Stolzes geschaffen hatte.

Eines Abends kam es an das Tor einer Stadt mit festen Mauern, die an einem Flusse lag, und so müde und fußwund es war, wollte es doch hineingehen. Aber die Soldaten, die Wache hielten, senkten ihre Hellebarden vor den Eingang und fragten es barsch: »Was willst du in der Stadt?«

»Ich suche meine Mutter,« antwortete es, und ich bitte dich, laß mich vorbei, denn vielleicht ist sie in dieser Stadt.«

Aber sie spotteten seiner, und einer von ihnen schüttelte seinen schwarzen Bart, setzte seinen Schild hin und sprach: »Wahrlich, deine Mutter wird nicht froh sein, wenn sie dich sieht, denn du bist abscheulicher als die Kröte im Sumpf und die Natter, die über das Moor kriecht. Fort mit dir! Fort mit dir! Deine Mutter wohnt nicht in dieser Stadt.« Und ein anderer, der eine gelbe Fahne in der Hand trug, sprach zu ihm: »Wer ist deine Mutter, und warum suchst du sie?«

Da antwortete es: »Meine Mutter bettelt wie ich, und ich habe schlecht an ihr gehandelt. Darum bitte ich dich, laß mich hineingehen, damit ich ihre Vergebung erlange, wenn sie sich in dieser Stadt aufhält.« Aber sie weigerten sich und stachen nach ihm mit ihren Speeren.

Und als es sich weinend abwandte, kam einer heran, der eine Rüstung mit eingelegten goldnen Blumen und einen Helm mit einem kauernden Löwen darauf trug, und fragte die Soldaten, wer es sei, der da um Einlaß gebeten habe. Und sie sagten zu ihm: »Es ist ein Bettler und ein Kind von Bettlern, und wir haben ihn fortgetrieben.«

»Nein,« rief er lachend, »wir wollen das häßliche Geschöpf als Sklaven verkaufen, und sein Preis soll der Preis für einen Humpen süßen Weines sein.«

Und ein alter Mann von bösem Aussehen, der vorüberging, rief aus: »Für diesen Preis will ich ihn kaufen.« Und dann zahlte er den Preis, nahm das Sternenkind bei der Hand und führte es in die Stadt.

Und als sie durch viele Straßen gegangen waren, kamen sie zu einer kleinen Tür in einer Mauer, die von einem Granatapfelbaum überhangen war. Der alte Mann berührte die Tür mit einem Ring aus geschnittenem Jaspis und öffnete sie, und sie gingen fünf Erzstufen hinab in einen Garten, der mit schwarzen Mohnblumen in grünen Töpfen aus gebranntem Ton gefüllt war. Dann nahm der alte Mann aus seinem Turban ein Tuch aus buntgewebter Seide, verband damit dem Sternenkind die Augen und trieb es vor sich her. Und als ihm das Tuch von den Augen genommen war, befand sich das Sternenkind in einem Kerker, der von einer Hornlaterne beleuchtet war.

Und der alte Mann setzte auf einem Holzbrett schimmliges Brot vor ihn hin und sprach: »Iß!« und in einem Becher schlechtes Wasser und sprach: »Trink!«, und als es gegessen und getrunken hatte, ging der alte Mann fort, indem er die Tür hinter sich zuschloß und sie mit einer eisernen Kette befestigte.

Und am Morgen kam der alte Mann, der in Wirklichkeit einer der scharfsinnigsten Zauberer aus Libyen war und seine Kunst von einem gelernt hatte, der in den Gräbern am Nil lebte, zu ihm, blickte es finster an und sprach: »In einem Wald nahe bei dem Tore dieser Stadt der Giauren liegen drei Klumpen Gold. Einer ist von weißem Gold, der andere ist von gelbem Gold, und das Gold des dritten ist rot. Heute sollst du mir den Klumpen weißen Goldes bringen, und wenn du ihn nicht bringst, werde ich dir hundert Hiebe geben. Geh schnell hinweg, und bei Sonnenuntergang werde ich dich an der Gartentüre erwarten. Sieh zu, daß du das weiße Gold bringst, sonst wird es dir schlecht ergehen, denn du bist mein Sklave, und ich habe dich um den Preis eines Humpen süßen Weines gekauft.« Und mit dem Tuch aus bunter Seide verband er dem Sternenkind wieder die Augen und führte es durch das Haus und den Mohngarten und dann die fünf Stufen von Erz hinauf. Und als er mit seinem Ring die kleine Tür geöffnet hatte, setzte er es auf die Straße. Und das Sternenkind ging zum Stadttor hinaus und kam nach dem Wald, von dem ihm der Zauberer gesprochen hatte.

Nun war dieser Wald von außen herrlich anzusehen und schien ganz voll von singenden Vögeln und süß duftenden Blumen zu sein, und das Sternenkind schritt fröhlich hinein. Doch nützte ihm diese Herrlichkeit wenig, denn überall, wo es ging, wuchsen scharfe Dorn- und Stachelsträucher aus dem Boden und umgaben es, böse Nesseln brannten es, und die Distel stach es mit ihren Dolchen, so daß es in bitterer Not war. Auch konnte es nirgendwo den Klumpen weißen Goldes finden, von dem der Zauberer gesprochen hatte, obgleich es vom Morgen bis zum Mittag und vom Mittag bis zum Abend danach suchte. Am Abend aber wandte es sich wieder heimwärts und weinte bitterlich, denn es wußte, welches Schicksal seiner wartete. Als es aber den Waldrand erreicht hatte, hörte es, wie jemand im Dickicht in Angst schrie. Da vergaß es sein eigenes Leid, lief zurück an die Stelle und sah dort einen kleinen Hasen in einer Falle, die ein Jäger aufgestellt hatte.

Und das Sternenkind hatte Mitleid mit ihm, befreite ihn und sprach zu ihm: »Ich bin selbst nur ein Sklave, doch kann ich dir die Freiheit geben.«

Aber der Hase antwortete ihm und sagte: »Du hast mir wirklich die Freiheit gegeben, was soll ich dir nun dafür zurückgeben?«

Und das Sternenkind sprach zu ihm: »Ich suche nach einem Klumpen weißen Goldes und kann ihn nirgendwo finden. Wenn ich ihn aber nicht mitbringe, wird mich mein Herr schlagen.« »Komm mit mir,« sagte der Hase. »Ich will dich dahinführen; denn ich weiß, wo er verborgen ist und welchem Zweck er dient.«

Da ging das Sternenkind mit dem Hasen, und siehe, in der Höhlung einer großen Eiche fand es den Klumpen weißen Goldes, den es suchte. Und es war voll Freude und ergriff ihn und sprach zum Hasen: »Den Dienst, den ich dir erwies, hast du mir viele Male erwidert, und die Güte, die ich dir erzeigte, hast du hundertfach zurückgezahlt.«

»Nein,« antwortete der Hase, »wie du an mir gehandelt hast, habe ich auch an dir gehandelt,« und er lief geschwind von dannen, und das Sternenkind ging nach der Stadt.

Nun saß an dem Stadttore ein Aussätziger. Über sein Gesicht hing eine Kapuze von grauem Leinen, und durch die Augenschlitze glimmten seine Augen wie rote Kohlen. Und als er das Sternenkind kommen sah, klopfte er auf eine hölzerne Schüssel, klingelte mit seiner Glocke und rief nach ihm, indem er sprach: »Gib mir ein Stück Geld, sonst muß ich vor Hunger sterben. Denn sie haben mich aus der Stadt gejagt, und niemand hat Mitleid mit mir.«

»Ach,« rief das Sternenkind, »ich habe nur einen Klumpen Gold in meiner Tasche, und wenn ich ihn nicht meinem Herrn bringe, wird er mich schlagen, denn ich bin sein Sklave.«

Aber der Aussätzige beschwor ihn und bat ihn, bis das Sternenkind Mitleid hatte und ihm den Klumpen weißen Goldes gab.

Und als es an des Zauberers Haus kam, öffnete ihm der Zauberer und brachte es hinein und fragte: »Hast du den Klumpen weißen Goldes?« Und das Sternenkind antwortete: »Ich habe ihn nicht.« Da fiel der Zauberer über das Sternenkind her, schlug es und setzte ihm einen leeren Teller vor und sprach: »Iß!« und einen leeren Becher und sprach: »Trink!«, und warf es wieder in den Kerker.

Am Morgen kam der Zauberer zu ihm und sagte: »Wenn du mir heute nicht den Klumpen gelben Goldes bringst, will ich dich sicherlich als meinen Sklaven behalten und dir dreihundert Hiebe geben.«

Da ging das Sternenkind nach dem Wald, und den ganzen Tag über suchte es nach dem Klumpen gelben Goldes, konnte ihn aber nirgendwo finden. Und bei Sonnenuntergang setzte es sich hin und begann zu weinen, und als es weinte, kam der kleine Hase, den es aus der Falle befreit hatte.

Und der Hase sprach zu ihm: »Warum weinst du? Und was suchst du in dem Walde?«

Und das Sternenkind antwortete: »Ich suche einen Klumpen gelben Goldes, der hier verborgen ist, und wenn ich ihn nicht finde, wird mich mein Herr schlagen und mich als Sklaven behalten.«

»Folge mir,« schrie der Hase und lief durch den Wald, bis er an einen Wasserpfuhl kam.

Und auf dem Boden des Pfuhles lag der Klumpen gelben Goldes.

»Wie soll ich dir danken?« fragte das Sternenkind, »denn du hast mir nun zum zweiten Male geholfen.«

»Nein, du hattest zuerst Mitleid mit mir,« sagte der Hase und lief geschwind davon.

Und das Sternenkind nahm den Klumpen gelben Goldes, steckte ihn in seine Tasche und eilte zur Stadt. Aber der Aussätzige sah es kommen, lief ihm entgegen, kniete nieder und sprach: »Gib mir ein Stück Geld, sonst muß ich vor Hunger sterben.«

Und das Sternenkind sprach zu ihm: »Ich habe in meiner Tasche nur einen Klumpen gelben Goldes, und wenn ich ihn nicht meinem Herrn bringe, wird er mich schlagen und mich als seinen Sklaven behalten.« Aber der Aussätzige beschwor es so sehr, daß das Sternenkind Mitleid mit ihm hatte und ihm den Klumpen gelben Goldes gab.

Und als es zu dem Hause des Zauberers kam, öffnete ihm der Zauberer, brachte es hinein und fragte: »Hast du den Klumpen gelben Goldes?« Und das Sternenkind antwortete: »Ich habe ihn nicht.« Da fiel der Zauberer über das Sternenkind her, schlug es, belud es mit Ketten und warf es wieder in den Kerker.

Am Morgen kam der Zauberer zu ihm und sagte: »Wenn du mir heute den Klumpen roten Goldes bringst, will ich dich freilassen, wenn du ihn aber nicht bringst, will ich dich sicherlich töten.«

Da ging das Sternenkind nach dem Wald und den ganzen Tag über suchte es nach dem Klumpen roten Goldes, konnte ihn aber nirgendwo finden. Und am Abend setzte es sich hin und weinte; und als seine Tranen flossen, kam der kleine Hase zu ihm.

Und der Hase sprach zu ihm: »Der Klumpen roten Goldes, den du suchst, liegt hinter dir in der Höhle. Darum weine nicht mehr, sondern sei fröhlich.«

»Wie soll ich es dir vergelten?« rief das Sternenkind. »Denn dies ist nun das drittemal, daß du mir geholfen hast.«

»Nein, du hattest zuerst Mitleid mit mir,« sagte der Hase und lief geschwind davon.

Und das Sternenkind ging in die Höhle, und in ihrem hintersten Winkel fand es den Klumpen roten Goldes. Da steckte es ihn in seine Tasche und eilte nach der Stadt. Und der Aussätzige, der es kommen sah, stand mitten auf der Straße, schrie nach ihm und sprach: »Gib mir den Klumpen roten Goldes, sonst muß ich sterben.« Und das Sternenkind hatte wieder Mitleid mit ihm, gab ihm den Klumpen roten Goldes und sprach zu ihm: »Deine Not ist größer als die meine.« Doch das Herz war ihm schwer, denn es wußte, welch schlimmes Los es erwartete.

Aber siehe, als es durch das Stadttor schritt, verneigten sich die Wachen vor ihm und huldigten ihm und sprachen: »Wie schön ist unser Herr!« Und eine Menge von Einwohnern folgte ihm und schrie: »Sicherlich ist niemand so schön in der ganzen Welt!«, so daß das Sternenkind weinte und zu sich selbst sprach: »Sie spotten meiner und machen sich lustig über mein Elend.« Und so stark war das Zusammenströmen des Volkes, daß es den Lauf seines Weges verlor und sich zuletzt auf einem großen Platz befand, auf dem der Palast des Königs stand.

Und die Tore des Palastes öffneten sich, und die Priester und die hohen Beamten der Stadt eilten ihm entgegen. Und sie verneigten sich vor ihm und sprachen: »Du bist unser Herr, auf den wir gewartet haben, und der Sohn unseres Königs.« Und das Sternenkind antwortete ihnen und sprach: »Ich bin keines Königs Sohn, sondern das Kind einer armen Bettlerin. Und warum sagt ihr, ich sei schön, da ich doch weiß, daß ich häßlich anzuschauen bin?«

Da erhob der, dessen Rüstung mit goldenen Blumen eingelegt war, und auf dessen Helm ein geflügelter Löwe kauerte, einen Schild und sprach: »Warum sagt mein Herr, er sei nicht schön?«

Und das Sternenkind schaute, und siehe, sein Gesicht war wieder ganz wie es gewesen war. Seine Schönheit war zurückgekehrt, und es sah in seinen Augen, was es vorher nicht darin gesehen hatte.

Und die Priester und hohen Beamten knieten nieder und sprachen zu ihm: »Es war seit langem prophezeit, daß an diesem Tage der kommen werde, der über uns herrschen soll. Darum geruhe unser Herr, diese Krone und dieses Zepter zu nehmen und in Gerechtigkeit und Gnade unser König zu sein.«

Aber es sprach zu ihnen: »Ich bin nicht würdig, denn ich habe die Mutter, die mich unter ihrem Herzen trug, verleugnet, auch kann ich nicht ruhen, bis ich sie gesunden und ihre Verzeihung erlangt habe. Darum laßt mich gehen, denn ich muß wieder durch die Welt wandern, und ich darf nicht verweilen, wenn ihr mir auch Krone und Zepter bringt.« Und als es so sprach, wandte es sein Gesicht von ihnen ab nach der Straße, die zum Stadttor führte, und siehe, unter der Menge, die sich um die Soldaten drängte, erblickte es das Bettelweib, das seine Mutter war, und an ihrer Seite stand der Aussätzige, der an der Landstraße gesessen hatte.

Und ein Freudenschrei brach von seinen Lippen, und es lief hinüber. Es kniete nieder und küßte die Wunden an den Füßen seiner Mutter und benetzte sie mit seinen Tränen. Es neigte sein Haupt in den Staub und schluchzte wie einer, dem das Herz brechen will, und sprach zu ihr: »Mutter, ich habe dich verleugnet in der Stunde meines Stolzes. Nimm mich auf in der Stunde meiner Demut. Mutter, ich habe dir Haß erwiesen, gib du mir Liebe. Mutter, ich habe dich zurückgestoßen, nimm du nun dein Kind.« Aber das Bettelweib antwortete ihm kein Wort.

Und es streckte seine Hände aus und umklammerte die weißen Füße des Aussätzigen und sprach zu ihm: »Dreimal habe ich dir Mitleid erwiesen, bitte meine Mutter, daß sie einmal mit mir spricht.« Aber der Aussätzige antwortete ihm kein Wort.

Und es schluchzte wieder und sprach: »Mutter, mein Leid ist größer, als ich es ertragen kann. Gib mir deine Verzeihung, und laß mich wieder in den Wald gehen.« Und das Bettelweib legte die Hand auf sein Haupt und sagte zu ihm: »Steh auf!«, und der Aussätzige legte die Hand auf sein Haupt und sagte ebenfalls: »Steh auf!«

Da erhob es sich von der Erde und blickte sie an, und siehe, sie waren ein König und eine Königin.

Und die Königin sprach zu ihm: »Dies ist dein Vater, dem du geholfen hast.«

Und der König sagte: »Dies ist deine Mutter, deren Füße du mit deinen Tränen gewaschen hast.«

Und sie fielen ihm um den Hals und küßten es und geleiteten es in den Palast. Sie gaben ihm ein herrliches Gewand, setzten die Krone auf sein Haupt, legten das Zepter in seine Hand, und das Sternenkind herrschte über die Stadt, die an dem Flusse lag, und war ihr König. Viel Gerechtigkeit und Gnade erwies es allen, den bösen Zauberer verbannte es, dem Holzhauer und seinem Weibe aber schickte es manche reiche Gabe, und ihre Kinder brachte es zu hohen Ehren. Auch duldete es nie, daß jemand grausam gegen Vögel und sonstiges Getier war, sondern lehrte Liebe, Güte und Barmherzigkeit. Den Armen gab es Brot und den Nackten Kleidung, und es war Friede und Wohlstand im Lande.

Aber das Sternenkind herrschte nicht lange. So groß war sein Leid gewesen und so bitter das Feuer seiner Prüfung, daß es schon nach Ablauf von drei Jahren starb. Und der, der nach ihm kam, war ein böser Herrscher.

Oscar Wilde, 1854 - 1900