So war nun also das Christkindlein da und wurde von Frau Holle und den Engelein mit der größten Zärtlichkeit gepflegt. Waren sie vorher fleißig gewesen, so wurde sie es jetzt noch viel mehr. Den ganzen Tag arbeiten sie für das Kind, das mit erstaunlicher Schnelle heranwuchs, im Frühjahr bereits sprechen und laufen konnte und als der Sommer herum gegangen, schon fast so groß war, wie die Mägdlein drunten im Tal, wenn sie das erste Mal zum Tanz unter die Linde gehen. Die Engelein fingen Sonnen- und Mondesstrahlen, haschten die Morgennebel und die feinsten Spinnwebe, die zu finden waren. Daraus fertigten sie Christkindskleider und einen langen, faltigen Schleier, den sie mit glänzenden Tautropfen bestickten. – Je mehr das Christkind heranwuchs, je schöner und lieblicher wurde sein Angesicht, je süßer seine Stimme und je holdseliger sein Lächeln.
Als es aber nun Herbst war, dachte Frau Holle ernstlich daran, das nun die Weihnacht nicht mehr ferne sei und ihr liebes Kind bald hinunter auf die Erde ziehen müsse, aber sie fürchtete sich, es so ganz allein in die kalte, dunkle Winternacht hinaus zu schicken. Außerdem sollten ja auch nur die guten Kinder belohnt und die bösen bestraft werden – das Christkind war aber viel zu gut, um dies über sein Herz bringen zu können. Es blieb nichts Anderes übrig, man musst ihm einen Gefährten suchen, der es beschützen und auch den bösen Leuten zugleich ein wenig Furcht einjagen konnte. –
Nachdem sich die Frau Holle dies genügsam überlegt, zog sie eines Tages wieder ihr schönes, grünes Kleid an, setzte einen Kranz von Astern auf und bestieg den goldenen Wagen mit den zwei schneeweißen Kühen. Neben ihr saß das Christkindchen in einem rosenroten Gewand, auf welches goldne Sterne gestickt waren, über dem Kopf trug es den feinen, langen Schleier, den eine Goldkrone festhielt. sie fuhren den ganzen Tag herum, die Kreuz und Quere, ohne dass Frau Holle fand, was sie suchte. Endlich kamen sie gegen Abend in ein kleines, grünes Tal, durch das ein lustiges Bächlein strömte und am Ende des Tales eine Mühle trieb. Neben dem Bächlein saß ein Mann, der hatte langes, schwarzes Haar, einen schwarzen Bart und ein sehr braunes Gesicht. Vor ihm lag ein Haufen schlanker Reiser und Gerten, von denen er Besen band, und er musste sehr fleißig gewesen sein, denn eine Menge fertiger Besen lag schon neben ihm.
Frau Holle hielt ihren Wagen an und sagte freundlich: „Guten Abend , lieber Mann!“
Der Mann brummte mürrisch ohne aufzusehen. „Guten Abend!“
Frau Holle ließ sich nicht abschrecken und fuhr fort: „Wie heißest Du denn, lieber Mann?“
„Nikolaus“, brummte er eben so mürrisch als zuvor, „und ich bin auch kein lieber Mann.“
Frau Holle lachte: „Warum denn nicht, wer hat Dir denn etwas getan?“
„Niemand“, knurrte er wieder, „es sollte mir auch nur Einer kommen!“
„Nun, wer sagt denn, dass Du kein lieber Mann bist?“
„Das sagen alle bösen, unartigen Kinder, die ich durchaus nicht leiden kann“, antwortete der Nikolaus, und sah dabei das gute Christkindchen ganz scharf und durchdringend an; es lächelte aber nur freundlich dagegen, denn es wusste ja, dass es sich nicht zu fürchten brauche. „Ei, lieber Nikolaus, da geht es mir grade wie Dir“, antwortete Frau Holle, „und nun sage mir auch noch, wozu Du bei Deinen großen Besen die vielen kleinen liegen hast, mit denen kann man doch nicht fegen.“
„Ha, ha“, lachte der Nikolaus, „das ist meine Erfindung; die kleinen Besen sind Ruten für die ungezogenen Kinder. Wenn ich den Müttern meine Besen verkaufe und ich höre, dass unartiges kleines Volk im Hause ist, schenke ich ihnen eine tüchtige Rute, um die bösen Schreier damit gehörig durchzuhauen. Da haben sie denn eine gewaltige Furcht vor mir und wenn ein Kind nicht gleich folgen will, sagt die Mutter nur zu ihm: „Schweig gleich still, sonst kommt der Besenbinder Nikolaus und bringt Dir eine Rute.“
„Ach, lieber Nikolaus“, sagte Frau Holle, „wir passen ja ausgezeichnet zusammen; sage mir nun auch noch, wo Du herkommst.“
„Da“, sagte er und deutete auf die Berge, „da hinter dem Böllstein bin ich her; dort steht mein Häuschen, in dem ich mich im Winter ausruhe und auf der warmen Ofenbank mein Pfeifchen rauche.“
„Verstehst du denn sonst gar nichts als Besen binden, lieber Nikolaus?“
Den Nikolaus machte das viele Fragen ungeduldig; er hatte immer fort gearbeitet und warf nun einen fertigen Besen zu den übrigen, dass es laut klatschte und das Christkindchen ganz erschrocken in die Höhe fuhr. „Ha, ha!“ rief er, „hast Du auch Respekt vor den Ruten?“
„Stille, stille, Niklaus“, sagte jetzt Frau Holle gebieterisch, „mein Kind braucht keine Ruten; gib mir schnell Antwort auf das, was ich Dich fragte.“
Zum ersten Mal sah jetzt der Nikolaus die Frau Holle und das Christkind ordentlich an; da ward ihm ganz sonderbar zu Mute. Er stand auf, zog seine Mütze ab, kratzte sich hinter den Ohren und sagte dann: „Na, ich weiß nicht wie das kommt, so lange wie mit Euch, habe ich noch mit Niemand im Leben gesprochen, und ich muss Euch auf Alles Antwort geben, wenn ich auch gar nicht will. Eigentlich bin ich ein Lebkuchenbäcker und keiner im ganzen Odenwald kann süßere und würzigere Lebkuchen machen, als ich. Wenn ich aber nun so im Sommer mit meinen Lebkuchen zum Verkaufe herumzog, an die Fenster klopfte und dann oft drinnen in den Stuben den Schmutz und Unrat haufenweise herumliegen sah, da habe ich mich ganz entsetzlich geärgert, denn nichts ist mir unausstehlicher als der Schmutz. Ich hätte längst geheiratet, wenn ich mich nicht vor dem Schmutze fürchtete.“
Frau Holle strahlte vor Freude: „Lieber, lieber Nikolaus, du gefällst mir außerordentlich gut“, rief sie entzückt.
Der Nikolaus lächelte geschmeichelt und sah Frau Holle wieder von oben bis unten an: „Ihr scheint mir wirklich eine saubere Frau zu sein“, fuhr er fort; „doch hört nur: da dachte ich, Besen sind den Menschen notwendiger als Lebkuchen, denn die gute Frau Holle fegt nicht mehr bei ihnen wie früher. so verlegte ich mich denn auf’s Besen- und Rutenbinden, ziehe mit meinem Eselchen im Lande herum und wo eine schmutzige Wirtschaft mit unartigen Kindern ist, fahre ich hinein, dass es eine Art hat. Dabei verlernt man es freilich ein lustiges Gesicht zu machen.“
Als Frau Holle das hörte, wusste sie sich vor Freude kaum zu lassen; sie reichte dem Nikolaus ihre schneeweiße Hand, neben der seine großen harten Finge noch einmal so dunkel aussahen und rief: „Lieber Nikolaus, komme mit mir, ich will Dich in ein so reinliches Haus führen, dass Du gewiss Deine Freude daran hast!“
Da schüttelte er aber den Kopf und sagte: „Bewahre, da wird nichts draus, ich muss zu meinem Eselchen, das steht drunten in der Mühle im Stall, ich muss die Nacht bei ihm schlafen.“
„Das Eselchen nehmen wir auch mit“, versetzte Frau Holle, „eile dich und hole es.“
„Ja, wohin geht es denn?“
„Das wirst du schon sehen, eile Dich, eile Dich!“ Der Nikolaus musste tun, was Frau Holle sagte, mochte er wollen oder nicht; er raffte seine Besen und Ruten zusammen, warf sie in Frau Holles Wagen und zuletzt noch einen großen Sack, in dem es gar sonderbar rumpelte und rappelte, so dass das Christkind mit seinem feinen Stimmchen fragte: „Was hast Du denn da drin, lieber Nikolaus?“
„Da habe ich Nüsse und Äpfel drin, die schenke ich den braven und artigen Kindern.“ „Ei , lieber Nikolaus, so kannst du also auch gut sein?“ rief Christkindchen ganz erfreut.
„Versteht sich, kann ich das; wer nicht ordentlich strafen kann, kann auch nicht ordentlich belohnen. Willst Du jetzt einen dicken rotbäckigen Borsdorferapfel, denn Du scheinst mir sehr lieb zu sein?“
Christkindchen dankte schön, nahm den Apfel und biss mit seinen weißen Zähnchen hinein, während der Nikolaus nach der Mühle ging, um sein Eselchen zu holen. Das wurde dann hinten an den goldenen Wagen angebunden, Nikolaus setzte sich darauf und so ging es fort die Böllsteinerhöhe hinauf und gerade hinein in Frau Holles hellen, goldnen Saal. Schon unterwegs merkte es endlich der Nikolaus, mit wem er es wohl zu tun habe, und er hätte lieber wieder unten am Mühlbach bei seinen Besen gesessen, aber Frau Holle redete so liebreich mit ihm, dass er nach und nach alle Furcht vergaß und ganz anständig von seinem Esels sprang, nachdem sie angekommen.
War das eine Freude und ein Geschrei unter den Engelchen, als sie den braven Nikolaus mit seinem Grauchen ankommen sahen! Erst fürchteten sie sich ein wenig vor ihm, dann überschütteten sie ihn mit Redereien; Eines zupfte ihn am Bart, ein Anderes warf alle seine Ruten und Besen in’s Feuer, dass diese hell aufflackerte und ein Drittes leerte gar den Sack mit Nüssen und Äpfeln aus. Als diese nun auf dem glatten Marmorboden wie toll hin und her kollerten, warfen sie sich insgesamt darauf, um sie aufzulesen und nun hatte der arme Nikolaus wenigstens einen Augenblick Ruhe. Es war aber auch Zeit, denn er machte ein furchtbar böses Gesicht und hob die Hand mit drohender Gebärde gegen die Engelein auf. So gefiel er aber gerade der Frau Holle am besten.
„Lieber Nikolaus“, sagte sie, „Du musst immer bei und bleiben, es soll Dich nicht gereuen. Wenn es jetzt Winter wird, begleitest Du mein Christkindchen hinunter zu den Menschen, damit ihm unterwegs kein Unfall begegnet, und weil es viel zu gut ist und nur mit den braven Kindern sprechen und sie beschenken will, wirst du den unartigen eine Rute bringen und sie tüchtig ausschelten. Ist Dir das recht, lieber Nikolaus?“
„Nein, das ist mir gar nicht recht“, sagte der Nikolaus mürrisch, „da kann nichts draus werden. Im Sommer ließe ich mir’s noch gefallen, im Winter aber ist’s mir zu kalt; da lege ich mich lieber auf meine warme Ofenbank, als das ich in der Nacht draußen herumlaufe.“
„Wir wollen schon dafür sorgen, dass Du nicht frierst“, rief Frau Holle, „ich gebe Dir meinen Pelzrock und meine Pelzmütze, darin steckt man so warm, wie in einem feurigen Ofen.“
„Aber mein Grauchen?“ fragte der Nikolaus weiter, „das gebe ich nicht von mir.“
„Das brauchen wir ja gerade so nötig als Dich; auf dem Eselchen lässt Du mein Christkind reiten, wenn es müde ist und außerdem hängen wir ihm zwei große Körbe an, in den einen stecken wir die Ruten, in den andern die guten Sachen. Bist Du so zufrieden?“ Der Nikolaus wollte noch immer nicht recht daran, da kam aber das Christkindchen hervor, nahm ihn bei der Hand und sagte: „Lieber Nikolaus, Du bist ja doch den braven Kindern gut, willst Du mich ganz allein durch die Nacht zu ihnen gehen lassen und nicht auch sehen, wie sie sich freuen, wenn ich ihnen schöne Geschenke bringe?“
Wie der Nikolaus nun das Christkind so vor sich stehen und in seine lieben Augen sah, konnte er nicht „Nein!“ sagen.
„Herzliebes Christkindchen“, rief er, „so will ich denn in Gottesnamen mit Dir ziehen, wenn ich auch entsetzlich frieren werde, man kann Dir ja nichts abschlagen. Wenn ich aber nach Hause komme, müsst Ihr mir immer für ein tüchtiges Feuer sorgen.“
„Das sollst Du haben“, rief Christkindchen, und die Engelchen tanzten und schwirrten dem Nikolaus um die Nase herum und schrien:
„Nikelöschen, Nikelöschen,
Morgen geht’s zu Karl und Röschen!
Zu Mathildchen und zu Anna,
Zu dem Georg und der Johanna!
Wollen sie nicht artig sein,
Ei, so schlag‘ nur tüchtig drein!“
bis der Nikolaus ganz zornig ward, mit den Füßen stampfte und mit beiden Händen das kleine Gesindel von sich abwehrte.
Da rief Frau Holle: „Jetzt ist’s genug; trollt Euch fort, führt das Eselchen in den Stall zu den Kühen, gebt ihm gutes, frisches Heu und macht ihm ein ordentliches Strohbett zurecht. Hernach aber bringt uns das Abendessen!“
Die Engelchen stoben auseinander und in einer Minute war Alles getan, was Frau Holle befohlen. Das Eselchen stand im Stall, fraß sein Heu und rief ein vergnügtes „I – ah!“ dazwischen. Für Frau Holle und Christkindchen brachten die Engelein süße, köstliche Milch und Zuckerbrot, vor den Nikolaus aber stellten sie eine große Schüssel voll Sauerkraut und Kartoffelbrei mit einer langen, langen Wurst. Das gefiel ihm sehr wohl, er griff wacker zu und sagte: „Liebe Frau Holle, es ist wirklich recht schön und angenehm bei Euch!“
Luise Büchner, 1821 - 1877