"Ach, Mamali, wenn doch das Christkindli bald käme! Und wenn es mir doch brächte, was ich mir so sehr wünsche! Glaubst du, dass es mir's bringt?" so fragte die kleine Jolanda ihr Mütterlein, während es war gebettete in ihrem Schoß saß, das rosige Gesichtchen mit den großen dunklen Augen von den lockigen braunen Haaren umrahmt schaute sehnsuchtsvoll bittend zur Mama empor. "Ja, was wünscht du dir denn so sehnlich mein Liebling," fragte diese und strich mit der Hand über das weiche Haar.
"O siehst du, Mamali, die süße wunderschöne Puppe mit blondem Haar und großen, blauen Augen; aber ich weiß, sie kann sie schließlich und wieder aufmachen. Ich sah sie gestern, als ich mit Käthe an der Warenhalle vorbeiging auf dem Marktplatz. Du glaubst nicht, Mama, wie schön sie ist, die schönste Puppe, die ich je sah!"
"Wir müssen nun eben sehen, was das Christkind bringt. Vielleicht bringt es die Puppe nicht. Vielleicht bringt es etwas anderes."
"Aber ich möchte nichts anderes," sagte Jolanda und das München verzog sich weinerlich, und um die Augen zogen sich Schatten von einem festen sich regenden Eigenwillen. "Ich möchte diese Puppe haben und sonst nichts anderes. O Mama, mach doch, dass das Christkind mir das bringt!"
"Liebling, Kind, man kann nur wünschen beim Christkind; man darf nur leise anbefehlen und nicht bestellen, und dann muss man's ihm still überlassen und denken: Das Christkind weiß ganz gut, was schön ist für mich und bringt nur Liebes und gutes mit. Wenn man so das Christkind erwartet, dann ist man glücklich!"
So tröstete die Mutter, und Jolandas Gesicht verlor den dunklen Schatten und bald hüpfte die kleine Gestalt ans Fenster und jubelte und rief: "Oh sieh doch Mamalie, die vielen weißen Sommervöglein, die fliegen sie fliegen so schnell, schnell!" Sie streckte die runden Händchen aus, als wollt sie sie fangen.
Und das Christkind kam, mit seinem stillen, geheimen Vorbereiten, mit seiner Hoffnungsfreude und seinem Lichterglanz. Jolanda war das einzige Kindlein liebender Eltern, und was Elternliebe und Großelternzärtlichkeit ersinnen und erdenken konnte, das sollte den Weihnachtsbaum der kleinen schmücken und froh machen.
Die Herzen der Alten wollen sich sonnen am Kinderjubel und warm und glücklich dabei werden.
Jolanda stürzte mit hellem Jauchzen in den lichterfüllten Raum, der so manche Stunde geheimnisvoll vor ihr geschlossen worden war. Wie herrlich strahlte der Baum im Glanz der hohen Kerzchen, die sich in leuchtenden Kugeln spiegelten und in Schimmer und Gold verdoppelten. Ein kleiner Schemel stand vor dem Baum und darauf hin setzte sich Jolanda und rückte ihn so nah als möglich dazu, um mit ihren großen Augen freudetrunken empor zu schauen ins Licht, selbst ein Lichtlein. Und das Lichtseelchen von oben flog herunter zum Lichtseelchen dort unten und fröhlich begegneten sie sich in Jolandas Auge. Christkind hatte keine Puppe gebracht, aber etwas anderes, Wunderschönes. Liebende Hände hatten eine Puppenstube geschmückt mit allen Zierraten, die sich malen, schnitzen, sticken und formen ließen. Es war ein Zauberstübchen. Reizende Bauernstühlchen umgaben den altertümlichen Holztisch. Ein Kanapee mit niedlichen gestickten Kisslein zeigte eine Reihe von weiß gekleideten Kinderchen. Die schöne Mama mit blauseidenem Kleid ruhte in einem Schaukelstuhl. an einem kleinen Messingarm hing eine rote, schwanke Ampel und allerliebste Bildchen zierten die Wände neben duftigen Fenstergardienen. Jolanda schwamm in einem Meer von Entzücken. Ihre kleinen Fingerchen betasteten all die Wunder menschlicher Geschicklichkeit.
Sie räumte aus und räumte ein und ließen die Kinderchen bald da bald dort sitzen und fröhlich Kaffee trinken aus winzigen, winzigen Tässchen. Es war ein großes, seliges Kinderglück, das sich schaltend und gestaltend im neuen Stüblein entfaltete.
Die Lichtlein waren erloschen. Die Weihnachtsstube war still; nur der Duft angerauchter Tannennadeln zog darüber hin wie der Nachklang der Freude. Eine helle Lichtspalte zeigte, dass drüben im Nebenzimmer die großen Leute noch beisammen saßen um den besetzten Tisch. Jolanda war nicht mehr dabei. Jolanda war ins Bettlein gebracht worden vom sorglichen Mütterlein, die die heißen Bäcklein und die glühenden Augen ängstlich im Dunkel des Bettleins geborgen hatte. Da sollte der Liebling ausruhen von der Freude; denn auch Freuen ist eine Arbeit für kleine zarte Herzchen. Aber die Äuglein wollten sich nicht schließen, die Händchen nicht ruhig werden. Immer tanzten helle, strahlende Lichter auf der Decke auf und ab und zierliche weiße Püppchen hielten die Augenlider fest, dass sie sich nicht schließen konnten und verjagten das Sandmännchen.
Als Mama eben den frohen Kreis mit einem duftenden Tee bedienen wollte, hörte sie ein leises Rauschen im Christbaumsaal. Sie eilte hinüber, von leiser Ahnung erfasst. Still blieb sie auf der Schwelle stehen, um das Bildchen, das sich ihr bot, voll und ganz zu genießen. Da stand Jolanda im weißen Nachtgewand mit bloßen Füßen. sie nahm ein Püppchen nach dem andern in die Hand und küsste es zärtlich, dann kam der Tisch und die Stühlchen, jedes bekam ein Küsslein. Endlich faltete sie die runden Händchen und leise lispelten die Lippen: "Liebes Christkind, ich danke dir!"
Da eilte die Mutter auf den Liebling zu, hüllte ihn lind und warm in ihre Arme und trug ihn zurück in sein Bettchen. "Ich wollte nur der Puppenstube gute Nacht sagen! Wie froh bin ich, dass das Christkind mir diese gebracht !"
Da lag nun das Köpflein müde im Kissen, und während Mamas Hand leise die kleinen, heißen Hände hielt, kam Sandmännchen unvermerkt und lautlos und streute seine Schlummerkörnchen auf die lichthellen Augen, und hinter den geschlossenen Lidern träumte Jolanda weiter vom guten, segenspendenden Christkind.
Dora Schlatter, 1855 - 1915